Reparatur

Wenn ich durch die Stadt laufe und so manches Fahrrad verloren und vergessen an einem Fahrradständer sehe, dann blutet mir das Herz.

Manchmal ist es nur eine verrostete Kette, ein platter Reifen oder ein bisschen Grünbelag. Alles Dinge, die schnell gemacht werden könnten. Doch der Alltag hält einen davon ab, oder das schlechte Wetter oder das Deutschlandticket (welches ich absolut genial finde) und man hat bewusst oder unbewusst beschlossen, das Fahrrad erstmal nicht zu nutzen. Vielleicht handelt es sich einfach um eine alte Kiste, ein Bahnhofs- oder Kneipenfahrrad, bei dem man denkt, dass jeglicher Aufwand den Wert des Fahrrads übersteigt. Und je länger das Fahrrad so rumsteht, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, dass es wieder genutzt wird. Aber gebt euer Fahrrad nicht auf! Vergesst euer Fahrrad nicht! Mit wenig Aufwand und ein paar Austauschteilen (sei es gebraucht oder neu), könnt ihr wieder den Fahrtwind um eure Ohren spüren und nahezu schwerelos durch die Stadt gleiten. Und sei es nur zum nächsten Supermarkt, zum Café, zum Kiosk oder zu eurer Lieblingskneipe. Jedes Fahrrad verdient eine zweite Chance!

Impressionen von verlorenen Fahrradseelen:

Ich selbst bin kein gelernter Fahrradmechaniker und ich möchte daher an dieser Stelle betonen, dass es einen Unterschied macht, ob man zu einem Fachmann mit handfester Ausbildung und jahrelanger Berufserfahrung geht oder ob man zum Hobby mit Hilfe von Fachbüchern, Youtube Videos, Gesprächen mit Fachmännern und Freunden an Fahrrädern schraubt. Ein gelernter Handwerksberuf ist durch Hobbyschrauben nicht zu ersetzen…andererseits gibt es auch Sterne-Köche ohne Kochausbildung…oder schlechte Köche mit Berufsausbildung. Wichtig ist in jedem Fall die Passion und das richtige Gefühl, wenn man die Dinge tut.

Passionierter Schrauber mit seiner Werkstatt:

Macht man Fahrradreparaturen hauptberuflich bedeutet das auch, dass man damit seinen Lebensunterhalt verdienen muss. Es reicht daher leider nicht, dass man Spaß an seiner Arbeit hat oder sein Hobby zum Beruf gemacht hat. Am Ende muss auch was für Essen, Trinken und Miete übrig bleiben…zu mindestens in unserer leistungsorientierten Kapitalgesellschaft. Ganz abgesehen von Investitionskosten wie Werkzeuge, Kassensysteme oder Ersatzteile auf Lagerhaltung. Da ist man schnell im fünfstelligen Bereich und hatte noch nicht mal einen Schraubenschlüssel in der Hand um ein Fahrrad zu reparieren. Und daher habe ich einen großen Respekt davor, wenn jemand den Schritt geht seinen eigenen Fahrradladen inkl. Werkstatt aufzumachen. Das ist nicht einfach. Vor allem, wenn man aus Prinzip E-Bikes im eigenen Sortiment ablehnt (meine Meinung dazu findet ihr u.a. hier) oder mittlerweile auch Lastenräder (die wiederum ja auch viel Stellfläche im Laden beanspruchen, meine Meinung dazu hier). Sollte man dann trotzdem derartige Fahrradtypen anbieten, obwohl man eigentlich nicht ganz dahinter steht, was die eigenen romantischen Vorstellungen vom Fahrradfahren betrifft? Verkauft man dann seine Seele gleich mit?

Ich kann verstehen, wenn so mancher Fahrradmechaniker Reparaturanfragen ablehnt, weil sich die Reparatur kommerziell gesehen einfach nicht mehr lohnt. Wenn es sich beispielsweise um ein preisgünstiges Baumarktfahrrad handelt, dann sind die Komponenten einfach minderwertig. Es wird Kunststoff statt Alu oder Stahl verwendet, die Teile sind nicht so präzise gefertigt und haben einfach mehr Spiel, die Konstruktion ist fehleranfälliger oder nicht so robust gegen Abnutzung, weil bspw. leichter Dreck eindringen kann. Der Qualitätsunterschied fängt schon bei Bremszughüllen an, die von guten Herstellern einfach steifer sind und sich beim Bremsvorgang weniger komprimieren. Die Bremswirkung ist allein schon durch eine gute Bremszughülle besser. Oder die Qualität der Antriebskette: Eine billige Kette längt sich schneller und nutzt damit die Zähne auf Ritzel und Kettenblatt schneller ab. Die einzelnen Teile sind weniger gut gehärtet. Statt Kettentausch steht dann der gesamte Antriebstausch an, weil die Längung schneller geschieht als man erwartet hätte. Anderes Beispiel, gleiches Teil: Hat die Kette nach außen stehende oder angefaste Außenlaschen, dann schnappt die Kette beim Schaltvorgang besser in das benachbarte Ritzel ein. Das Schalten verläuft sauberer und besser. Kleine Details können somit schon über das Gesamterlebnis bestimmen. Und diese kleinen Details bedeuten Aufwand, und mehr Aufwand bedeutet auch einen höheren Preis. Am Ende der Produktionskette wollen schließlich alle Essen und Trinken auf dem Tisch stehen haben. Die Erzmine, der Stahlhersteller, der Energieversorger, der Teilehersteller, der Logistiker und natürlich auch der Fahrradhersteller. Eigentlich verrückt, dass das alles so funktioniert.

Am Ende wirkt sich das alles auf den Gesamtpreis des Fahrrads aus. Und einem billigem Baumarktfahrrad ist teilweise nur mit Zeit, Geduld und ja…einfach besseren Austauschteilen zu helfen. Hinzu kommen die Witterungseinflüsse auf das Fahrrad. Verzinkte Schrauben sind günstiger als Edelstahlschrauben, rosten aber schneller. Irgendwann ist die Zinkschicht runter und das Basismaterial wird angegriffen. Und es kann bei Reparaturen immer mal passieren, dass ne halbe Falsche WD40 nicht hilft und man zu gröberen Hilfsmitteln greifen muss um eine Schraube zu lösen. Auch deswegen verstehe ich Fahrradmechaniker, die ein verrostetes Fahrrad ablehnen. Das Ding frisst zu viel Zeit und das will niemand bezahlen. Ein Totalschaden quasi.

Aber die Liebe! Die Liebe gibt das Fahrrad nicht auf! Die Erinnerung an die Ausfahrten, wenn der Frühling langsam einsetzt! Oh liebes Fahrrad! Lass dich retten! Lass uns wieder gemeinsam den Frühling genießen!

Kontaktiert mich, wenn ihr fachlichen oder seelischen Support braucht: mail@just-ri.de

Euer Diego